Neurofeedback-Mechanismen

Man kann mit Sicherheit sagen, dass Neurofeedback in der Öffentlichkeit nach wie vor weitgehend ignoriert wird. Zwar forschen einige visionäre Fachleute in diesem Bereich, aber ihre Zahl ist noch immer sehr begrenzt. In vielen Ländern ist die wissenschaftliche Produktion zu diesem Thema praktisch gleich null, sodass selbst im akademischen Umfeld kaum Kenntnis darüber besteht. In wenigen anderen Ländern dagegen lassen sich bereits Hunderte von Veröffentlichungen zum Thema Neurofeedback zählen.

Der folgende Artikel wird Ihnen die Grundlagen des Neurofeedback vermitteln.

Übersicht über die Mechanismen des Neurofeedback

Die Forschungsagenda festlegen

von Siegfried Othmer, Ph.D.
Chief Scientist, The EEG Institute
Oktober 2003 (bearbeitet im Juli 2007)

Die folgenden Referenzen befassen sich nicht nur mit den Anwendungsgebieten des Neurofeedback, sondern auch mit den Mechanismen der Gehirn-Selbstregulierung, welche dem EEG-Feedback (Neurofeedback) zugrunde liegen.

Zu den Anwendungsbereichen gehören insbesondere die Aufmerksamkeitsdefizitstörung, das Angst-Depressions-Spektrum, Anfälle und Suchtverhalten. Wir stellen die wichtigsten Arbeiten zu den zentralen Anwendungsgebieten vor sowie frühe Veröffentlichungen, die aufkommende Einsatzfelder beleuchten: Störungen des Sozialverhaltens wie die oppositionell-aufsässige Störung (Oppositional-Defiant Disorder) und die Dissoziale Verhaltensstörung; das Autismus-Spektrum und Asperger-Syndrom; Bipolare Störung; spezifische Lernstörungen, einschließlich Legasthenie; Schlafstörungen; Schädel-Hirn-Traumata und Schlaganfälle; die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS); Frauen-spezifische Gesundheitsthemen wie PMS und Menopause; altersbedingte Fragestellungen wie Parkinsonismus, Demenz und altersbedingter kognitiver Abbau; und schließlich Schmerzsyndrome wie Migräne und die Behandlung chronischer Schmerzen.

Neuro-Regulation im bioelektrischen Bereich

Andere Referenzen beschäftigen sich mit den Gehirnmechanismen, die dem EEG-Feedback zugrunde liegen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Mechanismen der Neuro-Regulation im bioelektrischen Bereich, ein noch relativ neues Studienfeld in den Neurowissenschaften. Das Gehirn ist als ein interagierendes Netzwerk zu verstehen, dessen Funktion auf präziser zeitlicher Abstimmung basiert. Die Mittel, mit denen das Gehirn sein eigenes Timing organisiert und gestaltet, müssen daher gründlich verstanden werden. Dies umfasst zuerst das sogenannte „Small-World“-Modell von Netzwerken, das die hohe funktionelle Integration stützt, die wir beobachten, ebenso wie die hierarchische Struktur der Regulation. Ferner bezieht es das „Time-Binding“-Modell der sensorischen Integration mit ein; den ensembleartigen Charakter der Informationsverarbeitung im Gehirn; sowie die frequenzbasierte Organisation von kortikaler Aktivierung und De-Aktivierung. Sowohl die kortikale als auch die subkortikale Architektur müssen in Bezug auf ihre Rolle bei der Aufrechterhaltung des Gehirn-Timings auf mikroskopischer Ebene, der Ensembles auf mittlerer Ebene und der Netzwerke auf globaler Ebene neu bewertet werden.

Psychopathologien werden dann, in ihrem physiologischen Aspekt, als Ausfälle der internen Gehirnkommunikation verstanden. Solche Störungen können sich aus unangemessener Aktivierung bestimmter Bereiche ergeben, aus unzureichender Kommunikation innerhalb der Netzwerke oder aus falschen Kopplungen zwischen verschiedenen EEG-Frequenzen. Letzteres wurde vor Kurzem durch ein allgemeines Modell sogenannter „thalamokortikaler Dysrhythmien“ in den Vordergrund gerückt. Dieses Modell ergänzt, widerspricht jedoch nicht, neurochemischen Erklärungsansätzen für Gehirnfunktionen. Neurochemische Modelle können für sich allein keinerlei Aufschluss über die zeitliche Dynamik der Gehirnfunktion geben; hierfür benötigen wir bioelektrische Modelle, die den zeitlichen Verlauf von Gehirnprozessen beschreiben können. Eine frequenzbasierte Analyse ist daher unerlässlich.

Neurofeedback wird folglich als Appell an die Mechanismen verstanden, mit deren Hilfe das Gehirn sein eigenes Timing und seine Frequenzbeziehungen aufrechterhält. Das Gehirn muss dabei den Gesetzen folgen, die für jedes Regelsystem gelten. Darüber hinaus muss es seine eigene Stabilität vollständig durch Selbstregulation gewährleisten. Ob durch operante Konditionierung oder durch eine explizite visuelle oder elektromagnetische Stimulation – das Gehirn wird in seinem augenblicklichen Zustand verändert und aktiviert dadurch seine eigenen Kontrollmechanismen, um die Regulation wiederherzustellen. Neurofeedback ist daher ein schrittweiser Lernprozess, in dessen Verlauf das Gehirn seine angeborenen Selbstregulationsfähigkeiten weiter ausbaut. Dies gilt für all jene Funktionen, die durch Timing reguliert werden, also für alle diskreten Ereignisse, die den synaptischen Informationsfluss betreffen. Dieser Ansatz wird als das „Regulatory-Challenge“-Modell des Neurofeedback bezeichnet.

Wir sind heute bereits in der Lage, Neurofeedback erfolgreich einzusetzen, obwohl die zugrunde liegenden Mechanismen der Gehirn-Selbstregulierung noch nicht vollständig verstanden sind. Das liegt daran, dass sich das Gehirn als ein selbstorganisierendes, nichtlineares dynamisches System betrachten lässt. Über zahlreiche interne Feedback-Schleifen ist das Gehirn stark davor geschützt, sich zu weit vom „normalen“ Zustandsraum zu entfernen. Treten dennoch solche weitreichenden Abweichungen auf, wie dies bei einem geschädigten Gehirn der Fall sein kann, so zeigen sie sich deutlich im EEG. Diese Auffälligkeiten können in Form von negativem Feedback ans Gehirn zurückgemeldet werden, um dessen Verhalten weiter einzugrenzen. Mit der Zeit findet ein Lernprozess statt, und das Gehirnverhalten bessert sich. Neurofeedback lässt sich in diesem Sinne als „Verhaltensmodifikation für das Gehirn“ bezeichnen. Durch Tausende von Signalen pro Minute, basierend auf immer präziseren Analysen des EEG, wird das Gehirn zu verbesserter Selbstregulation angeregt. Wenn systematisch eine Besserung eintritt, ist dies der Beleg dafür, dass die anfangs gestellte Hypothese – dass das jeweilige Problem tatsächlich auf frequenz- oder zeitbasierter Dysregulation beruht – korrekt war.

Vor diesem Hintergrund sind auch die Wirksamkeitsansprüche des Neurofeedback bei einer Vielzahl von Störungen zu verstehen. Bei manchen Erkrankungen, wie zum Beispiel der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder beim prämenstruellen Syndrom (PMS), gehen wir davon aus, dass der Kern des Problems eine Dysregulation ist. Der entscheidende Begriff bei ADHS ist „Störung“, was impliziert, dass eine Selbstregulationsstrategie eine umfassende Behebung ermöglichen sollte. Ist die Neuregulation einmal – auf welchem Weg auch immer – erreicht, werden die wesentlichen Merkmale der Störung nicht länger die Diagnosekriterien erfüllen.

Bei anderen Erkrankungen jedoch begleitet die Dysregulation nur ein tieferliegendes strukturelles Defizit, etwa bei Autismus, traumatischen Hirnverletzungen oder dem fetalen Alkoholsyndrom (FAS). Hier sind die Möglichkeiten der Verbesserung durch die organische Problematik begrenzt. Dennoch scheint der Versuch einer Rehabilitation in der Regel durchaus lohnenswert. Schließlich gibt es degenerative Erkrankungen wie Parkinsonismus und Demenzen, bei denen das EEG-Training möglicherweise hilft, die Funktionsfähigkeit wiederherzustellen und anschließend zu erhalten, selbst unter anhaltendem organischem Verfall. In solchen Fällen ist kontinuierliches Training erforderlich, um das erreichte Funktionsniveau zu bewahren.

Der Nutzen des Neurofeedbacks – obwohl es zahlreiche spezifische Anwendungen im Bereich psychischer Störungen und neurologischer Defizite gibt – wird als diagnostisch unspezifisch erachtet. Es zielt auf die weitreichenden Funktionsdysregulationen, die in allen klinischen Syndromen der psychischen Gesundheit zu finden sind und ebenso bei organischen Gehirnstörungen auftreten. Neurofeedback lässt sich als eine Verallgemeinerung dessen verstehen, womit sich das Biofeedback traditionell befasst hat. Umgangssprachlich bezeichnet man dies häufig einfach als „Entspannung“, während man im wissenschaftlichen Kontext viel mehr von Selbstregulation sprechen sollte. Indem wir direkt mit dem EEG arbeiten, erweitert sich die Bandbreite der möglichen Einflüsse auf all jene Funktionen, die vom Zentralnervensystem aktiv gesteuert werden.

Dieses erweiterte Konzept des EEG-Neurofeedback bezieht sich auf das gesamte Kontinuum von Aktivierung bis Entspannung in den Gehirn-Regulationsnetzwerken. Damit beeinflusst es das zentrale und das autonome Erregungsniveau, die Aufmerksamkeitsnetze, bestimmte kognitive Funktionen, das Arbeitsgedächtnis und andere Gedächtnisfunktionen. Es betrifft die Regulation unserer Stimmungen und Emotionen; es beeinflusst die motorische Kontrolle; und es modifiziert unsere Sensibilität und Reaktionsfähigkeit gegenüber Sinnesreizen. Darüber hinaus kann das Training unsere Ängste dämpfen sowie unsere Antriebe regulieren, darunter etwa Appetit, Nervenkitzel- und Suchttendenzen. Vor allem aber verhilft das Training dem Gehirn zu entscheidender Stabilität, was die Schwelle für das Auftreten von Anfällen, Migräne, Panikattacken und bipolaren Episoden erhöht.

Neurofeedback könnte in Kürze allgemein als Kernbestandteil der Mind-Body-Medizin (MBM) anerkannt werden, da es die willentliche Kontrolle nutzt, um unbewusste Gehirnprozesse zu trainieren, die wiederum eine Vielzahl körperlicher Funktionen regulieren. Obwohl Neurofeedback wichtige medizinische Implikationen hat, ist es streng genommen nicht automatisch ein medizinisches Verfahren (auch wenn es bei einer ärztlichen Verordnung durch einen Arzt zu einem solchen werden kann). Es handelt sich vielmehr um eine strukturierte Lerngelegenheit für das Gehirn, die von unterschiedlichen Fachkräften aus dem Gesundheits- oder Bildungsbereich begleitet werden kann. Die Methode eignet sich für Menschen aller Altersgruppen, sofern das Gehirn über ausreichende sensorische Wahrnehmungsfähigkeit verfügt, um auf Verstärkungen zu reagieren.

Als nichtmedizinisches Verfahren wird Neurofeedback vermutlich noch einige Zeit als Teil der „Komplementär- oder Alternativmedizin“ eingestuft bleiben. Dies gilt auch dann, wenn sich die hier angedeuteten Konzepte langfristig in unserem Verständnis der Gehirnfunktion ins Zentrum rücken werden. Das Verständnis des „Betriebssystems des Gehirns“ wird eine der wesentlichen Aufgaben der aktuellen neurowissenschaftlichen Epoche darstellen. Wie sollte dieses Verständnis nicht zu therapeutischen Implikationen führen? Tatsächlich sind diese Implikationen in der praktischen Anwendung bereits Wirklichkeit geworden.

Selbst wenn unser Verständnis noch begrenzt sein mag, ist die Umsetzung in die Praxis vergleichsweise unkompliziert. Wir müssen nur wissen, wie wir das Gehirn in jedem Moment darüber informieren, in welche Richtung es seine Leistung verbessern kann – und das ist in den meisten Fällen gar nicht so schwierig. Wir beobachten lediglich die jüngste „Trajektorie“ des Gehirns durch den Zustandsraum und verstärken es dafür, sich in die stärker besiedelten Regionen dieses Raumes zu bewegen, während wir seine Abwanderung in die Extrembereiche eher dämpfen. Wir verstärken das Gehirn, wenn es in einen Zustand höherer Komplexität (oder „höherer Dimensionalität“) übergeht. Diese Bereiche im Zustandsraum sind von Natur aus stabiler. Bemerkenswerterweise lernt das Gehirn aus diesen Rückmeldungen und verändert allmählich sein eigenes Verhalten. Das Leben selbst festigt dann das neu gelernte Verhalten, sodass die erworbenen Fähigkeiten zur Selbstregulation erhalten bleiben.

Wir laden Sie ein, gelegentlich wieder auf diese Seite zurückzukehren, um sich über die neuesten Entwicklungen in diesem spannenden Forschungs- und Praxisbereich zu informieren – im Grenzgebiet funktionaler Heilansätze für Dysregulationsstörungen und im Bereich bioelektrischer Selbstregulation. Wer mit diesem Gebiet bereits vertraut ist, ist überzeugt, dass die aufstrebende Gemeinschaft professioneller Neurofeedback-Anwender die Zukunft der psychischen Gesundheit und optimaler geistiger Leistungsfähigkeit maßgeblich mitgestaltet.

Wir haben eine kurze Bibliografie mit wissenschaftlichen Artikeln über Neurofeedback zusammengestellt (PDF, 92 Seiten).

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